Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr

Gismo – ein hellbrauner Wallach – kam im Alter von vier Jahren als Schulpferde nach Paderborn an den Reitverein. Tag aus, Tag ein, erledigte er seinen Job als Schulpferd bis zu seinem 17 Lebensjahr. Er lief nicht mehr ganz klar, weshalb er nicht mehr im Schulbetrieb eingesetzt wurde. Annika, die sich bereits einige Jahre um den Gismo gekümmert hatte, übernahm ihn damals für den obligatorischen Schlachtpreis. Sprüche wie „dem alten Gaul, bringst du nichts mehr bei“, musste sie sich anhören. Doch die beiden zeigten allen, wozu ein solch „alter Gaul“ noch im Stande war. Gismo, der sein Leben lang in der Abteilung den Hufschlag in der Reithalle entlang getrabt war, lernte richtig versammelt zu laufen, lernte Ansätze von Piaffe und Passage sowie vieles mehr. Er blühte mit seinen neuen Aufgaben förmlich auf. Mit der richtigen Gymnastizierung lief er in allen Gangarten wieder taktrein, fast wie ein junges Pferdchen. Gemeinsam mit Annika hatte er noch viele schöne Jahre.

Bilder erzeugt durch Midjourney

Und – was soll uns das Sprichwort sagen!?

“Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr” oder wie im Englischen gesagt wird: “You can’t teach an old dog new tricks. Lass schließen, dass ein Individuum mit zunehmendem Alter die Fähigkeit des Lernens verliert.  

Heute lächeln wir über diesen Spruch, denn es ist wissenschaftlich belegt, dass wir (und alle anderen Säugetiere) bis ins hohe Alter die Fähigkeit zum Lernen behalten. Neuroplastizität hat die Wissenschaft die Eigenschaft des Gehirns genannt, sich immer wieder auf eine sich verändernde Umwelt einstellen zu können. Somit ist wissenschaftlich bewiesen, dass Hans und der Hund, sehr wohl noch im Alter neue Dinge erlernen können.

Haben sich die Menschen früher so geirrt? Jein!

In der Tat stellen wir fest, dass ältere Tiere (wie auch Menschen) nicht mehr neugierig die Umwelt erkunden. Bis auf einige sehr wenige Ausnahmen. Routinen haben sich im Laufe der Zeit bewährt und somit bestimmte Handlungen scheinbar automatisiert. 

Und warum?

Das Gehirn arbeitet sehr, sehr effizient. Während beim Erlernen von neuen Skills das Gehirn noch viel Energie benötigt, wird dieser Skill durch stetige Wiederholung zu einer Routine. Die Aufgabe geht förmlich in Fleisch und Blut über und der anfänglich hohe Energieverbrauch für diese spezielle Aufgabe im Gehirn lässt immer mehr nach. 

Mir ist das einmal sehr deutlich bewusst geworden, als ich mich eine Zeit lang intensiv mit Bodenarbeit befasst habe, bin ich km für km rückwärts laufend durch die Reithalle gekurvt. Eines Tages im Urlaub wollte mich die kleine Aylin im Rückwärtslaufen herausfordern und wir veranstalteten ein Rückwärtslauf-Wettrennen. Leute, ich hätte nie gedacht, dass ich so schnell und problemlos ein Wettrennen rückwärts hätte bestreiten können.  

Etwas, das so routiniert abläuft, ändert man nur ungern oder nur mit sehr hohem Aufwand. Nicht, dass ihr jetzt glaubt ich würde nur noch rückwärts durch die Gegend laufen. Die Augen voraus, macht in meinem Fall, dann doch etwas mehr Sinn. Deshalb ein anderes Beispiel:

Dein Pferd hat die negative Angewohnheit, sich immer loszureißen und abzuhauen. Du schlägst einen Weg ein, dein Pferd folgt dir, bis zum Punkt X und dann aus dem Nichts heraus (der Grund dafür ist für dich völlig unerklärlich) dreht sich erst der Kopf, dann der Hals und schon siehst du nur noch den Hinter deines Pferdes. Das ganze passiert so schnell, dass man erst einmal völlig überrumpelt wird von der Situation. Ich spreche hier wieder aus eigener Erfahrung, weil Lady diese Manöver irgendwann aus dem Effeff beherrschte und weil scheinbar jedes Mal ihr Dopamin dabei sprudelte, wurde diese unschöne Situation immer gefährlicher.

Sie hatte gelernt, wenn ich den Kopf schnell genug zur Seite reiße, komme ich vielleicht noch einmal auf die Wiese. Das war bei ihr meistens der Ort, an dem ich sie wieder einsammeln musste. Ihr Verhalten wurde somit noch mit frischem saftigem Gras belohnt. Super! Ihre Erfolgssträhne musste unbedingt, bevor etwas Schlimmeres passierte, unterbrochen werden.

Ich legte mir (unterbewusst) eine Technik zu. Und zwar platzierte ich meine Hand auf ihren Hals und bevor sie Kopf, Hals und Schulter von mir abwenden konnte, hatte ich sie ohne großen Kraftaufwand davon abgebracht. Anfänglich klappte es nur ab und an, aber meine Reaktionsgeschwindigkeit diesbezüglich wurde immer besser – routiniert – und ihre Chance zu entkommen immer geringer. Es lief vollautomatisch. Soll heißen, dass ich nicht erst meine Großhirnrinde in Betrieb nehmen und über mein Vorhaben nachdenken musste. Eine entscheidende Zeitersparnis!

Mit dem schwindenden Erfolg am Entkommen, wurden die Versuche ihrerseits immer weniger. Keine Frage, wenn ein hübscher Wallach auf dem Paddock steht und sie rossig ist, kommt die alte Strategie leider wieder hoch.

Klar ist, dass ein Individuum, welches sich eine bestimmte Strategie für eine Problemlösung zurechtgelegt hat, sich nach einer gewissen Zeit nur noch schlecht von dieser abbringen lässt. 

Deshalb ist es nicht das Lernen an sich, was im Alter schwer fällt, sondern das Verlassen gewohnter Pfade, also das Umlernen (überschreiben) bestimmter Handlungen.

Etabliere so früh wie möglich eine solide Grundausbildung oder nennen wir es besser in diesem Kontext Sozialisierung wie zum Beispiel: 

  • Ruhig stehen am Anbindeplatz,
  • Beißen und Treten sind tabu,
  • Führtraining,
  • u s w

Fazit:

Das Pferd, der Hund, der Mensch alle können im Alter noch dazu lernen. Neues Tricks wird Dein Pferd auch noch mit über 20 Jahren erlernen. Schlechte Angewohnheiten, welche über Jahre für das Lebewesen selbstverständlich waren, diese wieder loszuwerden, ist hingegen fast unmöglich. Na ja, fast! 😉

Viel Spaß beim Lernen

Deine Barbara von Pferdeliebe

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